Ab wann ist ein Mensch ein Mensch?

Die ganze Diskussion um PID wird ja momentan sehr heftig und auch sehr emotional geführt. Bei solch emotionalen Diskussionen besteht natürlich immer die Gefahr, dass die Fakten in den Hintergrund treten und die Diskussion sich immer weiter vom Thema entfernt. Dies liegt in der Natur der Sache.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch interessierte Kreise, die diesen Umstand ausnutzen und sogar noch gezielt Nebelkerzen zünden. Ein Prachtexemplar dieser Gattung ist die Warnung vor Designer-Babys.

Eigentlich ist diese heraufbeschworene Gefahr gleich auf mehreren Ebenen absurd: Abgesehen davon, dass sie durch eine sehr idealisierte, schon naive Vorstellung von Humangenetik geprägt ist[1. Die meisten Eigenschaften werden von einer Unzahl von Genen gesteuert. Wir werden auch in naher Zukunft kaum in der Lage sein, Vorhersagen über das Aussehen oder gar Intelligenz oder soziale Kompetenz aufgrund von Genen machen zu können.], geht es bei dem Gesetzesvorhaben ja nicht um eine bedingungslose Freigabe, sondern und eine präzisere Regelung als aktuell. Wenn man gesetzlich regeln kann, dass die PID verboten ist, dann kann man auch regeln, dass sie unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Missachten kann man das Gesetz in beiden Fällen. Daher ist die Warnung vor einem Dammbruch nicht wirklich nachvollziehbar.

So, wie es momentan geregelt ist (oder besser: nicht geregelt ist), kann es jedenfalls nicht bleiben, da sind sich eigentlich auch alle einig. Die einen wollen sie ganz verbieten, die anderen wollen sie unter bestimmten Bedingungen erlauben oder zu mindest straffrei halten.

Um sich mal eine Vorstellung davon zu verschaffen, um was es hier eigentlich geht: Angenommen, ein Paar hat ein Kind bekommen, das an einer schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Erbkrankheit leidet. Sie wünschen sich ein zweites Kind, zweifeln aber aufgrund der Gefahr, das zweite Kind könnte das selbe Schicksal erleiden. Was für Möglichkeiten gibt es?

Eine genetische Beratung kann zumindest mal das Risiko klären. Aber was macht das Paar jetzt mit der Aussage, zu 50% wird das zweite Kind die selbe Erkrankung haben? Die PID kann hier helfen, indem sichergestellt wird, dass die defekten Chromosomen nicht an das Kind weitergegeben werden. Sie ist nicht dafür vorgesehen, jegliche genetische Disposition vorneweg auszuschließen, das kann sie auch kaum leisten. Aber sie ermöglicht es den betroffenen Paaren, sich für ein weiteres Kind zu entscheiden, wenn sie es auf natürlichem Wege nicht verantworten wollen oder können.

Gewiss ist dies kein leichter Weg, es wird ihn auch niemand leichtfertig einschlagen. Es ist eine langwierige, emotional belastende Prozedur. Aber was ist die Alternative? Sie könnten es auf natürlichem Weg oder per IVF[2. In viro fertilisation, also künstliche Befruchtung] versuchen und den Embryo bei Vorliegen der Erkrankung abtreiben. Das ist unter bestimmten Bedingungen straffrei. Aber ist ein Gesetz, das diesen Ausweg nahelegt noch menschlich? Es ist schon klar, dass das kein vom Gesetzgeber gewünschter Ausweg ist, den kann niemand wünschen.

Eine ab und zu vernommene Lösung des Problems ist auch die, einfach auf weitere Kinder zu verzichten oder welche zu adoptieren. Sicher ist das für den einen oder anderen eine Möglichkeit. Aber die darf man doch niemandem aufoktroyieren! Was viele bei dieser Diskussion vergessen: Gesundheit ist ein Menschenrecht. Und zur Gesundheit gehört auch die Möglichkeit, Nachkommen zu zeugen, wir existieren letztendlich, um uns zu vermehren! Dieses Recht jemandem einfach so abzusprechen ist nicht legitim.

Was sind die Beweggründe der PID-Gegner? Leben zu schützen? Ok, kein Zweifel, die PID erfordert mehr befruchtete Eizellen zur Auswahl, als dies bei normaler IVF der Fall wäre. Aber man muss sich auch mal klarmachen, um was es sich dabei handelt: Um eine PID durchführen zu können, braucht man eine Blastozyste[3. ja, prinzipiell kann man auch in einem früheren Stadium diagnostizieren]. In dem Stadium hat sich der Zellhaufen gerade so weit differenziert, dass man die Zellen, die später den Embryo bilden werden, von den Zellen unterscheiden kann, die später die Plazenta und die Eihäute bilden werden. Und von letzterem entnimmt man dann Zellmaterial, um es zu untersuchen.

Aber ist das zu dem Zeitpunkt ein Mensch? Nur, weil die Zellen das genetische Potential besitzen, einen Menschen zu entwickeln[4. Die Natur geht übrigens auch sehr verschwenderisch mit genetischem Material um. Mal abgesehen davon, dass eine so intensive Brutpflege wie beim Menschen eher die Ausnahme ist (viele Tiere produzieren einfach haufenweise Nachkommen, inder Hoffnung, das ein paar überleben). Man geht davon aus, dass über die Hälfte der befruchteten Eizellen sich nicht im Uterus implantieren und einfach abgehen. Einfach so. Müsste man die jetzt eigentlich auffangen und retten?]? Menschen sind doch viel mehr als ein paar Zellen! Ich kann und will nicht entscheiden, ab wann ein Mensch ein Mensch ist. Aber es geht hier letztendlich um eine Abwägung von Interessen. Was ist denn schützenswerter? Zellen in einer Petrischale? ein Embryo im Mutterleib? das Recht, Nachkommen zeugen zu können?

Das Embryonenschutzgesetz jedenfalls stellt den Schutz der befruchteten Zelle über alles, sogar über den des Embryos im Mutterleib. Diese Situation ist in der Tat absurd!