Willkommen in den 50’ern

Bereits 1975 hat James W. Prescott einen sehr aufschlussreiches Paper über den Zusammenhang von Sex und Gewalt veröffentlicht. Genauer gesagt, über den Zusammenhang von sexueller Unterdrückung und Gewalt. Danach schließen sich sexuelle und aggressive Gefühle gegenseitig aus, man kann also zu einer Zeit entweder nur genießen oder kämpfen. Außerdem führt eine Unterdrückung der Sexualität bei Kindern und Jugendlichen zu einem Anstieg der Aggression, die dann im Erwachsenenleben bestehen bleibt.

Allen voran muss man hier natürlich der Kirche den Schwarzen Peter zuschieben. Gerade die katholische Kirche hat eine sehr blutige Vergangenheit, aber Sex vor oder außerhalb der Ehe ist streng verboten. Und Spaß machen soll es wohl auch innerhalb der Ehe besser nicht zu sehr.

Aber es gibt auch politisch eine Tendenz zur Kriminalisierung der Sexualität unter Jugendlichen. In den USA ist schon so mancher in Besserungs- und Erziehungsanstalten gelandet, der hierzulande nichtmal strafmündig wäre. Das heißt jedoch nicht, dass es diese Tendenz nicht auch in Deutschland gäbe: 2006 sind laut Statistischem Bundesamt insgesamt 2149 Personen wegen §§ 176, 176a und 176b verurteilt worden. Davon waren fast 12% selbst unter 18 Jahren. Insgesamt waren über 17% unter 21. Liest man sich § 176 aufmerksam durch, dann stellt man fest, dass es für das Gesetz unerheblich ist, ob die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt oder nicht. Machen also im Extremfall ein 14jähriger und eine 13jährige “miteinander herum”, dann riskiert er bereits eine Verurteilung! Leider schweigt sich die Statistik zu den Details aus, denn die Paragraphen decken auch schwere Straftaten ab. Die Frage ist halt nur, ob die Abgrenzung immer sauber gelingt.

Aus Amerika kommt der Begriff Sexting. Damit ist das Austauschen von eigenen Nacktfotos unter Jugendlichen per MMS gemeint. Selbst Spiegel Online wedelt hier mit dem Begriff Kinderpornographie, weil die Strafverfolgungsbehörden das so sehen. Beim Lesen des Artikels gewann ich den Eindruck, Sexting würde zu einer schlimme Sache, weil man es als Kinderpornographie bezeichnet. Auf den Trichter, dass dieser doch sehr emotional besetzte Begriff hier völlig fehl am Platze ist, ist der Autor wohl nicht gekommen. Sicherlich, vor dem Gesetz kann das auch hierzulande als solche gelten. Aber was machen wir eigentlich in dem Moment mit den Kindern, wenn wir ihnen sagen: “Was ihr da macht ist ganz schlimm, das dürft ihr nicht”? Vermutlich leiden sie hinterher an Schuldkomplexen.

Immerhin, auch der Spiegel hat ganz richtig erkannt, dass in solchen Fällen oftmals die Strafverfolgung das größere Problem darstellt, und nicht die Verbreitung der Nacktbilder. Aber warum sind diese freiwillig verschickten Bilder überhaupt ein solches Problem? Natürlich können diese in Zeiten der globalen Vernetzung ganz schnell unauslöschbar in die Welt hinausdiffundieren, etwa wenn die Gefühle zwischen Verliebten irgendwann abkühlen und sich jemand rächen möchte.

The National Campaign veröffentlicht deswegen Tips für Eltern und Jugendliche. Sicher, diese sind durchaus nachvollziehbar und sinnvoll. Aber ist das wirklich das eigentliche Problem? Ist nicht eher unsere Denkweise, dass alles, was mit Sex zu tun hat, schmutzig ist, das Problem?

Unsere Welt ist einfach furchtbar verklemmt. Die Darstellung von Gewalt ist absolut akzeptiert, solange nicht übermäßig viel Filmblut fließt. Aber sobald es um nackte Tatsachen geht, schlägt die Moralkeule zu.

Seit ich den Artikel von Prescott gelesen habe, ist mir jedenfalls einiges klar geworden. Solange sich unsere Moralvorstellungen nicht grundlegend ändern, wird die Gewalt in der Gesellschaft eher zu- als abnehmen. Die natürlichste Sache der Welt wird pervertiert.

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